Farbe bekennen

Ich sitze im Zug nach Norden. Backstein und Lagerhallen bestimmen die Landschaft. Braun und Rost vermischen sich mit dem Grün und Gelb von unbesiedelten Feldern. Braun und Rost, ein langsamer Verfall, wohl früher Stil, der Versuch, sich mit den Eichen in die Wälder einzureihen, durch Industriesmog die Vergangenheit nur als schwarz-weiß Film gekannt. Die Natur zu imitieren, aber nur dort, wo sie an den Menschen, den deutschen Mann erinnert. Der Mann von heute zeigt sich in denselben Häusern, aber seine Macht über die Natur ist die Übernahme der übrigen Farben; der Mann von heute zeigt sich floral, nicht im Muster, sondern im grellen Orange der schweren Maschinen, die die Hinterhöfe voll aussehen lassen. 

Worte wie trist verfehlen die Lage zu beschreiben. Die Graffiti sind vielleicht ein Versuch, aber graue Lärmschutzwände verschlucken noch die letzten Bekenntnisse: ACAB, 50670 is meine Hooood. Aus dem Zug kann man direkt in die Pools der Leute schauen; Folienpool vor Klinkerhaus, kein Zaun, falls man einmal doch nicht mehr will. 25 Mal täglich Spaß und Spannung für die ganze Familie: Heute ICE oder doch nur Regio? Die Väter fahren in die Werkstatt, kommen nach Hause zu drei Kindern, die Frau kümmert sich, wahrscheinlich auch ein Job, seit der Wende.

Mir scheint die Luft leichter zu werden, als keine Berge mehr zu sehen sind, Bäume selten werden, durch Windräder ersetzt. Mehr Viehzucht, Pferde und Schafe, nahe den Bahnschienen, hier ein Zaun. Der Norden Deutschlands ist für einen aus dem Süden etwas verwunderlich und das harsche Wetter lässt nicht nur die Menschen näher zusammenrücken, sondern auch die Häuser. Kleine Siedlungen, den Rücken der Bahn zugewandt, kein Hinterhofvoyeurismus mehr. Die Industrie ist einfach nur höher, größer, wenigstens hier verdeckt man den Rost noch mit Farbe. Das Meer hilft scheinbar, bietet sich an zu fliehen.

Deutschland steckt in der Vergangenheit fest, wir sind Industrienation, die Stärksten Europas, aber von den Schienen aus scheint es, als ob hier nur keine Bomben gefallen sind. Zwischen ihnen immer wieder neue Häuser, aber wie Öl und Wasser. Nicht mal der Ansatz des Gefühls von Gentrifizierung kommt auf. Auch nicht das Gefühl einer Wehr. Nicht das Gefühl der Entwurzelung. Der Wunsch der Loslösung kann nicht am selben Ort geschehen. Dieser Ort ist kein Ort, sondern Zeit. Die Häuser halten zurück, verschlucken das moderne Design von schwarz und weiß und Metall in ihren Steinen; wer baut hier? Wer bleibt hier freiwillig und fängt nicht an zu rosten?

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