Die Frau & die Halbtagsstelle

Der ultimative Indikator für die noch immer nicht vorhandene Gleichstellung der Geschlechter lautet heute, dass die meisten Halbtagsstellen von Frauen besetzt sind. Schlimmer wird diese Erkenntnis nur durch die, dass es in den sogenannten „Führungspositionen“ fast gar keine Frauen gibt. Die Implikation dieser alarmierenden Statistiken ist stark: Um das feministische Projekt voranzutreiben, müssen mehr Frauen in Vollzeitstellen und vor allem Führungspositionen. My favorite position? CEO!

Einer der Gründe für den schlechten Ruf der Halbtagsstelle scheint ihre Rolle als „Zuverdienst“ zum Gehalt des Ehemanns zu sein. Die Arbeit der Frau wird weder besonders ernst genommen, noch garantiert sie der Familie ökonomisches Überleben wie die Arbeit des Ehemanns. Die Halbtagsstelle bietet vielmehr die Gelegenheit für die Ehefrau, Hausarbeit und Kinderbetreuung zum großen Teil alleine zu übernehmen. Die finanzielle Unabhängigkeit vom Mann oder Vater hat allerdings erheblichen Einfluss auf das Leben von Frauen. Schon in den 1920ern schreibt Virginia Woolf, ihre finanzielle Selbstständigkeit durch das Erbe einer Tante habe ihr in Sachen Freiheit unvergleichlich viel mehr gebracht als etwa das gerade erkämpfte Frauenwahlrecht, welches die sozialen Lebensumstände kaum geändert hatte. Prinzipiell ist eine Person nur frei, wenn sie etwa ihren Partner* auch verlassen kann, also aus freien Stücken in der Bindung bleibt und nicht aus Existenzängsten. Es kommt hinzu, dass eine Halbtagsstelle für eine Alleinerziehende oft kaum genügt, um Mutter und Kind ökonomisch abzusichern. In den letzten Jahrzehnten hat das Recht auf Arbeit und eigenen Verdienst also völlig zurecht eine übergeordnete Rolle im Kampf um die Frauenemanzipation gespielt.

Gearbeitet haben Frauen natürlich schon immer und überall, nicht ausschließlich in der Carework, sondern auch in allen anderen möglichen landwirtschaftlichen oder handwerklichen Arbeiten. Wovon man heute spricht, wenn es um relevante Arbeit geht, ist die Lohnarbeit. Die Industrialisierung, die diese Form der Arbeit zur Normalität machte, zog zunächst unterschiedslos weibliche wie männliche Arbeitskraft in ihre Fabriken. Die heute wohlbekannte Doppelbelastung aus Carework und Lohnarbeit traf auch damals schon die Frauen: sie schufteten am Webstuhl oder atmeten in der Färberei giftige Gase ein, waren sexueller wie anderweitiger Gewalt ausgesetzt, übernahmen den Haushalt und pressten gewollte wie ungewollte Kinder durch ihre Körper. In ähnlichen Zuständen leben zweihundert Jahre später immer noch die meisten Frauen des globalen Südens, die täglich unseren Kaffee ernten und unsere Blazer zusammennähen – also die Bedingung dafür schaffen, dass wir es morgens trotz Depressionen zur Arbeit schaffen. Täglich stampft eine vierzehnjährige Zwangsarbeiterin aus Bangladesh feministische Slogans auf H&M-Shirts: The future is female.

Dass Frauen der heutigen Industrienationen das Recht auf Lohnarbeit als Privileg erscheint, liegt auch daran, dass es ihnen immer wieder genommen wurde – und auch wieder genommen werden könnte. Wenn Frauen auch immer arbeiten mussten, so durften sie nicht immer für tatsächliche Entlohnung arbeiten. Die Genese der Nachkriegshausfrau gibt hierfür ein anschauliches Beispiel: Während des zweiten Weltkriegs hatten Frauen die regionale Wirtschaft zu einem entscheidenden Teil übernommen, da die meisten arbeitsfähigen Männer an der Front kämpften. Im kollektiven Gedächtnis findet diese Leistung bloß Anerkennung in Form der „Trümmerfrauen“, die die Infrastruktur der zerbombten Städte wieder herstellten. Als die überlebenden und traumatisierten Soldaten nach Kriegsende wieder zurückkehrten, sah man sich trotzdem veranlasst, die Frauen wieder aus ökonomisch wichtigen Positionen zu verdrängen. Zu diesem Zweck wurde die Hausfrau der 50er Jahre erschaffen, die nur in Ausnahmefällen und mit Erlaubnis des Mannes gegen Lohn arbeiten durfte. Die Frau wurde wieder einmal in ihre „natürliche“ Rolle gezwungen; eine Rolle, die die Aufklärung schon entdeckt und vergeblich versucht hatte, ein für allemal rechtlich und sozialpolitisch zu zementieren. Das Recht auf Lohnarbeit, auch ohne Erlaubnis des Ehemanns, haben sich Frauen in den 70er Jahren zurück erkämpft. Inzwischen ist sie auch für Frauen mehr Pflicht als Recht – eine Pflicht, die zunehmend zum Fetisch unserer Gesellschaft wird.

Wieso wird die Welt nicht besser, wenn Frauen in Führungspositionen sind? Nina Power weist in ihrem Buch One Dimensional Woman darauf hin, dass es Frauen im Allgemeinen überhaupt nichts bringt, wenn einzelne von ihnen in Machtpositionen sind, die sich nicht für die Rechte anderer Frauen einsetzen (oder weiterer marginalisierter Gruppen). Wenn Frauen konservative, faschistische oder markt-fetischistische Politik machen oder Unternehmen auf diese Weise führen, erwirkt dies keine gesellschaftliche Veränderung. Denn es ist vollkommen unerheblich, ob ein Mann seine Angestellten ausbeutet oder eine Frau, ob ein Minister die Situation alleinerziehender Mütter ignoriert oder eine Ministerin. Dass es uns als Wert an sich erscheint, eine Frau in einer Machtposition zu haben, liegt daran, dass der Kapitalismus eine seiner effektivsten Methoden ausgespielt hat, um sich selbst als bestmögliches System darzustellen: Er hat eine politische Ideologie in sich aufgenommen und für sich nutzbar gemacht. Er hat jetzt selbst die Hausfrau vom Herd in die bezahlte Bürostelle gekriegt. Er hat es geschafft, dass der Grad an Frauenemanzipation in unserer Gesellschaft daran gemessen wird, wie hoch sie die Karriereleiter klettern kann. Die wahre Schande der Halbtagsstelle ist nämlich nicht der „Zuverdienst“, sondern die nur halbtags verwendete Anstrengung, Karriere zu machen und sich vollzeitlich dem Arbeitgeber oder dem eigenen Unternehmen hinzugeben.

Freiheit, Autonomie und Glückseligkeit, die wichtigsten „Werte“ unserer modernen Welt, sind heute notwendig an die Erzählung einer erfüllenden Lohnarbeit geknüpft. Dabei ist die Fantasie absoluter Unabhängigkeit, die Fantasie eines souveränen Individuums, von Haus aus patriarchal. Sie leugnet traditionell die radikale ökonomische und emotionale Abhängigkeit zu anderen Menschen im Allgemeinen, insbesondere zur Mutter und Ehefrau – ohne die sich Männer der Kriegsgeneration und die meisten Boomer nicht mal ein Spiegelei braten können. Wenn sich jetzt Feminismus darin verwirklichen soll, dass auch Frauen diesen Typus verkörpern, liegt unser emanzipatorischer Fortschritt als Gesellschaft lediglich darin, ein parasitäres Männlichkeitsideal auf alle Individuen auszuweiten. Dass die Feminisierung der Arbeit oder der „weibliche“ Führungsstil eine neue Unternehmenskultur und damit eine bessere Gesellschaft bewirken sollen, gehört noch zu den naivsten Mittelstandsmärchen. Der Kapitalismus erlaubt im Kern keine andere Produktionsweise als die des sich vermehrenden Kapitals, das heißt des unendlichen Wachstums durch Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft. Reproduktive Arbeit kann im Kapitalismus gar nicht anerkannt oder fair entlohnt werden, da sie keinen finanziellen Mehrwert erzeugt – das Kitapersonal und die Haushaltshilfe sind nicht zufällig unterbezahlt. (Dasselbe gilt für künstlerische und intellektuelle Tätigkeiten, die im besten Fall Feinde zeitsparenden Effizienzdenkens sind.) Die alte, fast schon romantisierte Logik von Kapitalist und Arbeiter, wobei der erstere den letzteren ausbeutet, hat sich in den letzten zweihundert Jahren verändert und zunehmend verschleiert (zumindest die Ausbeutung der Oberschicht und des Mittelstands; die Ausbeutung von Pflegekräften, Paketboten und den Fabrikarbeiter:innen des globalen Südens existiert weiterhin unverhohlen). Im Mantel der Selbstoptimierung ist die freiwillige Selbstausbeutung zur Tugend geworden, und das in unserem besten Interesse. Je mehr wir arbeiten, desto erfolgreicher sind wir, so die Geschichte, und je engagierter, motivierter, resilienter und flexibler, desto moralischer sind wir. Unser Wert als „Teil der Gesellschaft“ wird in unserem Einsatz gemessen, den wir für die Privatwirtschaft leisten. Die Bereitschaft, durch Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, genügt nicht mehr; die persönliche Identifikation mit dem Job wird zur Mindestanforderung der Einstellungskriterien. Die Notwendigkeit eines „lückenlosen“ Lebenslaufs und dessen Repräsentabilität sind tief in unsere kollektive Alltagspsyche eingedrungen und überwachen uns von innen: Wir sind zu Walking CVs geworden, wie Power es treffend ausdrückt. Jede Handlung, sei sie noch so vermeintlich privat, muss übersetzbar sein in die Darstellung von persönlichem Engagement und uns auf diesem oder anderem Wege profitabel sein. Auf der Arbeit gelten außerordentlicher Einsatz und unbezahlte Überstunden nicht als dem Chef geopferte Zeit, sondern als pseudo-altruistische Performance von Fleiß und hands-on-mentality. Wir sind Unternehmer unserer selbst; Marken, die Gewinn bringen müssen. Die jüngste Generation trifft das von Anfang an. Jede Teenagerin und jede erwachsene Frau muss dabei noch dünn, faltenfrei und feinporig sein, zusätzlich zur Doppelbelastung. Die Beschwerde über den Mangel an Frauen in Führungspositionen und Vollzeitjobs scheinen lediglich darauf zu zielen, Frauen zu den Siegerinnen der Selbstausbeutungs-Disziplin zu machen. Das emanzipatorische Potenzial dieser Forderung stellt sich als Forderung einer immer extremer werdenden Anpassungsleistung des Individuums an den Arbeitsmarkt heraus; und das unabhängig vom Geschlecht. Eine Gesellschaft, die den einzigen Weg zur Befreiung in Einzelkampf, Anpassung und Selbstausbeutung setzt – und diese als moralische Werte an sich verkauft – hält uns immer bloß eine Illusion von Freiheit vor Augen. Einer Freiheit, der wir hinterrennen wie die Windhunde dem Köder in ihrer Laufbahn.

Natürlich sollten wir gegen Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt kämpfen – Frauen sollten nicht nur deshalb nicht in Führungspositionen kommen, weil sie Frauen sind. In jedem Fall sollten wir unter den gegebenen Umständen für gleiche Löhne bei gleicher Arbeit kämpfen. Aber wir sollten nicht aufhören, für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen, und die ist keine kapitalistische. Es ist keinerlei utopischer Charakter zu erkennen an einer neuen Weiblichkeit, die ihre Energie damit verschwendet, eine selbstoptimierende KI zu werden, die sich ihren Lebtag mit nichts anderem als Prozessoptimierung und Profitmaximierung beschäftigt. Feminismus sollte sich als anti-autoritäre Bewegung verstehen, die soziale Gleichheit, Gemeinschaftlichkeit und Solidarität aller Individuen anstrebt. Dieser Horizont bietet erst die Bedingung einer positiven menschlichen Freiheit zu Handlungsmöglichkeiten und Lebensentwürfen – nicht einer Pseudo-Freiheit auf dem Rücken anderer.

Buchempfehlungen

Virginia Woolf: A Room of Oneʼs Own

Wieso gibt es mehr berühmte Männer, die schreiben und dichten, als Frauen? Zum Genius sind nur Männer fähig, lautet eine Standarderklärung, oder: Frauen beschäftigen sich nur mit dem Persönlichen, nicht aber dem Allgemeinen, dem Relevanten. Woolf geht diesen Behauptungen in ihrem 1929 erschienenen literarischen Essay auf den Grund. In der Auseinandersetzung mit Büchern über Frauen (die ausschließlich von Männern geschrieben wurden) und literarischen Beispielen erarbeitet sie die These, dass es nicht naturgegebener Genius ist, der Frauen fehlt, sondern die sozial und ökonomisch bedingte Möglichkeit, überhaupt zu schreiben.

Nina Power: One Dimensional Woman

Power betrachtet verschiedene Erscheinungsweisen des zeitgenössischen Feminismus - bzw. dem, was heute alles als „Feminismus“ bezeichnet und durch den neoliberalen Kapitalismus instrumentalisiert wird. Unter anderem entwickelt sie die These, dass das Subjekt des Kapitalismus durch den Zwang zur Selbstvermarktung und Anpassung an den Arbeitsmarkt seinen Subjektcharakter verliert und zum Objekt wird; sich selbst als Objekt denkt. Diese genderübergreifende Entwicklung stellt eine „Feminisierung“ der Arbeitswelt dar, so Power, da es traditionell Frauen sind, die ausgebeutet und zum Objekt gemacht werden.

Eva Illouz: Das Glücksdiktat

Unsere Gesellschaft bietet alle Möglichkeiten zu freier Entfaltung und Selbstverwirklichung, d. h. zum Glücklichsein – offenbar bist du selbst schuld daran, wenn du nicht glücklich bist! Diese Interpretation der heutigen Gesellschaft ist mittlerweile omnipräsent. Die Soziologin Illouz untersucht die Entstehung und Entwicklung der „positiven Psychologie“ in den USA, die die Glücksforschung inzwischen international an die Universitäten gebracht hat – und das mit extrem dünner wissenschaftlicher Grundlage. Die positive Psychologie stellt sich als Gehilfin des neoliberalen Arbeitsmarkts heraus, der uns durch Glücksversprechen zu unermüdlichen Selbstoptimierer:innen und hörigen Arbeitnehmer:innen macht – und von den sozioökonomischen Problemen des Kapitalismus ablenkt.

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