Rede gegen den Girl Boss

Diese Rede habe ich am 8. März 2024 auf der Heidelberger Kundgebung zum internationalen Frauen*kampftag auf dem Marktplatz gehalten. Die Kundgebung mit ihren vielen wertvollen Rede-, Musik- und Performancebeiträgen wurde organisiert vom Queerfeministischen Kollektiv & vom Literaturherbst Heidelberg in Kollaboration mit dem Theater Carnivore, Hamseda Together, uns von Pigeon Publishing und vielen weiteren.

Liebe Leute,

ich wurde hier eben als Autorin vorgestellt, das klingt immer sehr glamourös, aber auch ich gehe dreimal die Woche zu meiner Lohnarbeit, um dafür bezahlen zu können, dass ich irgendwas essen kann und dass ich irgendwo wohnen kann.

Ich gehe also mit meinen Kolleginnen zur Arbeit und sage auf den Fluren hin und wieder, dass ich Feministin bin, und meine Kolleginnen finden das alles sehr verstörend, weil ich ja Feministin bin und gar keine Karriere machen will.

Meine Kolleginnen sagen Sätze wie: „Die meisten Frauen wollen sich ja viel lieber um ihre Kinder kümmern als Geld verdienen, aber durch diesen ganzen Feminismus müssen wir jetzt auch noch arbeiten gehen! Eigentlich ist es ja der Feminismus, wegen dem Hausarbeit und Kindererziehung nicht wertgeschätzt werden und es ist eine frauenfeindliche Forderung, dass wir jetzt auch noch Karriere machen sollen!“

Und wisst ihr was, es würde mich Stunden kosten, diese konfusen Rants irgendwie historisch und ideologisch auseinanderzunehmen, ich koch das jetzt mal runter auf den wahren Kern:

Wieso sitzen wir überhaupt den Großteil unserer Zeit in diesen absurden Büros, anstatt schöne Dinge zu machen, und anstatt Zeit mit unseren liebsten zu verbringen – nicht nur Frauen, sondern alle Menschen?

Ich kann euch das sagen, wieso ich keine Karriere machen will: Weil ich glaube, dass der Kapitalismus und sein ganzer ideologischer Apparat ein System ist, das ausgedient hat. Derselbe patriarchale und rassistische Kapitalismus, wegen dem es immer noch moderne Sklaverei gibt und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, will sich jetzt auch noch den Feminismus aneignen:

Im kulturellen Bewusstsein ist Feminismus gleichgesetzt mit Kohlescheffeln. Emanzipation wird gleichgesetzt mit Frauen in Führungspositionen, und die Frau soll dabei immer noch in Highheels und 50 kg zur Arbeit tippeln um dort girlzubossen und dann zusätzlich bitte zuhause noch die gesamte Care Arbeit machen!

Wir hören täglich Sätze wie: „Du kannst es schaffen, wenn du nur an dich glaubst, und wenn du es nicht schaffst, bist du selbst dran schuld.“ Es ist dabei scheißegal, dass eben nicht alle dieselben „Chancen“ haben, weil nicht alle dieselben Privilegien haben. Rassifizierte Menschen, queere Menschen, Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung, arme Menschen: wir haben nie und wir hatten nie dieselben Chancen wie die Christian Lindners dieser Welt. 

Und liebe Leute, der Feminismus soll doch nicht dieselbe Kacke nur jetzt mit Frauen machen, sondern Feminismus muss alle Herrschaftsstrukturen angreifen: nämlich Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit, ja, Sexismus, und allem voran unseren heißgeliebten Kapitalismus.

Nie zuvor hat die Menschheit so viel produziert wie heute, bei einer Umverteilung der Vermögen wäre es längst möglich, weltweit den Hunger und die Sklaverei zu beenden. Und selbst hier in fucking Deutschland müssen die alleinerziehenden Mütter 5 Jobs machen, um essen und eine Wohnung bezahlen zu können.

Liebe Feminist*innen: Wenn ihr für die Rechte von Frauen auf die Straße geht, geht für eure Rechte und die Rechte aller auf die Straße: Hört auf, ein Girl Boss zu sein, sondern geht auf die Straße für ein längst mögliches und überfälliges Ende des Kapitalismus und für eine lebenswerte Zukunft!

Die Rede ist, wenn man so will, eine sehr verkürzte Version des Essays Die Frau und die Halbtagsstelle.

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