7 Phasen des feministischen Bewusstseins

Es sieht mit uns Frauen* und Männern* vielleicht besser aus als noch vor 10, 20 oder 30 Jahren. Dennoch scheint es, als müsste jede Person immer wieder von vorne anfangen mit ihrem Weg zu einem reflektierten feministischen Bewusstsein. Dieser individuell scheinende Kampf um Stereotype, Geschlechterpolitik und Geschichtsschreibung spiegelt allerdings die kollektiven sozialen Kämpfe der Vergangenheit und Gegenwart.

Wir haben in diesem Text verschiedene Entwicklungsstadien eines feministischen Bewusstseins zusammengefasst, die wir selbst schon durchlaufen haben und die wir bei anderen häufig anzutreffen meinen. Natürlich treten diese Phasen meist in konfusen Mischformen auf; aber wir wären keine Linksintellektuellen, wenn wir keinen Hang zum konservativen Systematisieren hätten! (Jede Ähnlichkeit zu Hegel ist übrigens rein zufällig und wird von der Autorin aufs Schärfste zurückgewiesen.)

1. Bewusstsein der Ungerechtigkeit

Wieso muss ich bei meiner Oma den Tisch abräumen und meine Cousins nicht? Wieso reden die Jungs stolz übers Kacken und ich soll mich dafür schämen?

Meist das erste Stadium unseres Wegs. Es verschafft sich Gehör in einem diffusen Ungerechtigkeitsempfinden in Bezug auf konkrete Absurditäten. Diese Beobachtungen ergeben ein willkürliches Werk ungeschriebener Gesetze. Meist wird sich wegen sozialen Drucks oder dem Wunsch nach Anerkennung doch mit der absurden Rolle identifiziert (zumindest performiert), in verschiedenen Graden der Zufriedenheit damit.

2. „Natürlicher“ Männerhass/impliziter Frauenhass

Männer benehmen sich schlecht, hören nicht zu, sind großkotzig, notgeil, ekelhaft, und im Prinzip eine Bedrohung für meine Sicherheit, gerade in sexueller Hinsicht. Das kann aber unmöglich gesellschaftlich hervorgebracht sein, sondern muss größtenteils an der Natur liegen (siehe Evolutionstheorie). Umso mehr muss man aber Ausnahmen bewundern!

So männerfeindlich dieses Stadium daherkommt, so verharrt es doch in den bekannten Strukturen. Wo Aggression naturalisiert wird, kann man sie auch jederzeit entschuldigen. Nicht selten geht dieses Stadium einher mit implizitem Frauenhass über „feminine“ Verhaltensweisen wie Unsicherheit, die Unfähigkeit sich durchzusetzen, wenig zu erreichen und im Kleinen zu bleiben. Es sind Männer, die bessere Kunst machen, relevantere Interessen haben, dingliche Obsessionen, die zu Erfolg führen – das scheint die andere Seite ihrer Übergriffigkeit zu sein.

3. Setzung der natürlichen Überlegenheit der Frau

Männliche und weibliche Verhaltensweisen sind zu weiten Teilen natürlich – was sozial hinzukommt, ist bloß die Abwertung der Frau. Eigentlich sind Frauen die Überlegenen: Sie gebären, sie halten Gesellschaften zusammen durch soziale und Pflegearbeit, ihre Sanftheit ist Stärke. Das Weibliche hat mythische oder spirituelle Kraft, die Mutterschaft ist etwas Heiliges.

Die Zuschreibungen dessen, was „weiblich“ ist, werden akzeptiert und ins Positive gewendet. Dass Stereotype oft der Realität entsprechen, wird aber nicht als sozial forciert gedeutet, sondern genauso naturalisiert. Dies kann oft eine unabsichtliche Wiederholung des Mutter/Hure-Komplexes sein: Frauen sind entweder Heilige (Mütter/ergebene Ehefrauen) oder Huren (selbstständige/intelligente Frauen). Selbst wenn Frauen das Ausleben ihrer Sexualität zugestanden wird, agiert es mit ähnlichen Mystizismen über das Weibliche, das historisch die Verbannung der Frau aus dem Bereich des Menschlich-politischen rechtfertigt. Im schlimmsten Fall werden „biologischen“ Frauen das Vorrecht des Frauseins eingeräumt und Transfrauen exkludiert (Ökofeminismus & TERFs).

4. Neoliberaler Feminismus/Pop-Feminismus

Egal, ob Geschlecht sozial und/oder biologisch ist, wir müssen die Frau in der Realität emanzipieren. Firmen müssen weiblich geführt werden, Frauen müssen endlich zu Anlegerinnen werden, Frauen müssen das Land führen. Es lebe der Girl Boss!

Die Frau soll sich in männliche Herrschaftsstrukturen einfinden und in Erhaltung ihrer Femininität zum Mann mutieren, nämlich zum Beherrschenden. Diese Form emanzipiert höchstens reiche weiße Frauen, weshalb sie auch White Feminism heißt.
Der Pop-Feminismus lässt derweil feministische Thesen in Werbe- und Unterhaltungsindustrie durch normschöne Frauen performen. „Feminismus“ wird salonfähig gemacht, ohne dass der male gaze ein schlechtes Gewissen haben müsste. Der Körper einer Frau kann aber unmöglich als Ü35 gedacht werden oder ein schwaches Bindegewebe haben.

5. Utopisches Bewusstsein

Generell ist dieses Gender-Ding doch Quatsch! Anstatt da ewig drauf rumzureiten, sollten wir das jetzt mal überwinden und mit diesen Schubladen aufhören, das macht doch alles nur noch schlimmer!

Die Einsicht, dass Geschlecht sozial konstruiert ist, führt nicht selten zu einer Übersprungshandlung. Die Tatsache, dass als Frauen gelesene Personen anders behandelt werden als männlich gelesene, wird als kontingente Ungerechtigkeit erkannt und soll in jeder Konsequenz aufgehoben werden. Es ist demnach kontraproduktiv, Frauen besonders zu schützen und sichere Räume für sie zu schaffen, da dies ihre Stilisierung zum Opfer perpetuiert und überdies Männer diskriminiert. Diese Haltung will nichts mehr mit der überkomplexen Realität zu tun haben und operiert im Ideellen (was eine verdächtige Nähe zur patriarchalen Metaphysik aufweist).

6. Konstruktivistisches Bewusstsein

Gender ist konstruiert, aber (noch) real.

Geschlecht mag sozial konstruiert sein, die materiellen Bedingungen von Personen sind allerdings durchaus real, was Frauen* je nach Kontext weiterhin schützens- und fördernswert macht. Auch hier sind „weibliche“ Verhaltensweisen meist positiv konnotiert; das „Weibliche“ bzw. „Männliche“ wird aber als Muster kontingenter Verhaltensweisen gesehen, die jeder Person zukommen können. Von hier aus können auch Männer* feministisches Subjekt sein. Queerfeminismus wird auf dieser Stufe besonders relevant (da das utopische Bewusstsein zu selbstbezüglich ist, um sich groß damit zu beschäftigen). Erst hier entsteht eine relevante Form der Debatte, was es genau heißen soll, dass Geschlecht „konstruiert“ ist, und was der richtige Weg der aktiven Dekonstruktion sein könnte.

7. Historisch-kritisches Bewusstsein

Let’s get intersectional!

Diese Stufe repräsentiert die vollendete Wokeness und ist eine notwendige Erweiterung des konstruktivistischen Bewusstseins, das sich nur auf Geschlechterverhältnisse bezog. Die Geschlechterhierachie kann nur im Verbund mit sozioökonomischen Verhältnissen vollzogen und verstanden werden. Wenn politischer Aktivismus nicht nur weiße Frauen der Oberschicht befreien will (eine kleine Gruppe!), muss sie Kritik an Rassismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und Ageismus einschließen. Die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer zeitgenössischen neoliberalen Ideologie ist die grundlegende Funktionsweise der gegenwärtigen Gesellschaft. Sie ermöglicht Ungleichheit im gleich Maße, wie sie sich gesellschaftspolitische Erfolge zu eigen zu machen versucht.

Eine bessere Welt ist möglich, wenn wir so handeln, als wäre sie wahrscheinlich.

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Petra

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