Der stille Senf singt

Du hast eingelegten Senf zwischen den Zähnen hängen.

Er windet sich zwischen Lippen und Zahnfleisch wie Seetang. Während du da was nuschelst über kulinarische Reisen und fermentiertes Essen. Der Senf ist salzig und zäh. Ich beiße lustlos darauf rum, hoffentlich kann meine Mimik die Enttäuschung überspielen.

Mir hätte Pasta gereicht, selbst gegen Kartoffelstampf ist nichts zu sagen. Aber wenn du einlädst, dann muss es exotisch, muss es anders sein. Japanischer eingelegter Senf ist da wohl die neueste Obskurität, die du auf TikTok für dich entdeckt hast. Er kräuselt sich an deinem gebleichten Weiß, als du über den Rechtsruck im Osten loslegst. Das allbekannte Thema, altbekannte Problem. Ich bin damit aufgewachsen, hab die ekelhaften Sprüche wie Hintergrundrauschen in der Wiege gehört.

Du bist zugezogen, da hat die Brutalität der Sprache noch ihre eigene Magie. Kennt man so nicht in gepflegten Eigenheimen, in denen du mit all dem Lego und Playmobil dieser Welt gespielt hast.

War trotzdem da, nur unsichtbar wie dein Senf, bis man mal wirklich unter sich war. Verpackt in kleine Witze und Beschwerden über laute Nachbarn wurde er beim Grillen rausgespuckt. Erzählte allen, man wählt schwarz, obwohl es am Ende doch blau war. Im Stillen kann der braune Sumpf auch gut gedeihen. Ja, rechte Ideologie gibt es überall, aber das brauch ich dir ja nicht zu erzählen, da verdrehst du eh nur die Augen.

Die rechte Gewalt aus Solingen und Hanau, der NSU in Dortmund, Hamburg, Nürnberg, Kassel oder München, so weit weg von Privatschulen und Ballettkursen, das war nie Alltag für dich. Genauso wenig wie der Protest, den Menschen wie ich an Familientischen und in Straßenbahnen vollzogen. Was nicht in der Tagesschau kommt, ist halt nicht wichtig. Zumindest nicht für deine gedeckte Tafel, schön bestückt mit all dem feinen Verzehrbaren dieser Welt. Aufgereiht, als würden sie den Farbgesetzen des Feng-Shui folgen. In der Kultiviertheit gibt es kein Braun, nur Primärfarben. In der Kultiviertheit ist man moralisch überlegen, vergisst die eigene Blindheit, mit der die Welt hübsch und in Ordnung bleibt.

Wo kommt das nur her und wo soll das nur enden, die stille Hymne dieses Abends.

Wir schütteln im Takt den Kopf zu ihr. Der Senf wippt mit, tanzt wie die Nereiden zwischen deinen Zähnen. Welche Lieder würde er wohl anstimmen, wenn er könnte?

Von Globalisierung und Ausbeutung vielleicht? Von all den Händen, braungebrannt und voller Schwielen, die ihn in ewigen Ketten zu dir schickten? Von all ihren Klagen und Sorgen, die still blieben. Weil auch für sie kein Platz in 15 Minuten Tagesschau bleibt.

Ein weiterer tropfender Strang gleitet durch deine Lippen. Mit ihm stimmst du neue Themen an. Von anstehenden Urlauben in Peru und zu kaufenden Wohnungen singst du nun. Entfernte Welten, über die ich so wenig weiß wie das fermentierte Japan.

Klein sitze ich da, zwischen Mid-Century-Möbeln, abstrakten Bildern und überquellenden Blumenkübeln. Klein werde ich bleiben, bis du wieder weiterziehst. „Der Osten“ nur Durchreisestation in deinem LinkedIn-Leben. Der Senf wird bleiben, auf feiner Keramik.

In Plastik wird er auch mich begleiten. Gelb und sämig. Bautzner Senf verfängt sich nicht zwischen den Zähnen. Wird gut durchgekaut auf weißen Plastikstühlen, während wir rätseln, wo es nun hingehen soll. Wo der Osten doch blau und braun bleiben wird. Wo der kleine Protest nur klein bleibt.

Und dann werde ich still meine Hymnen singen, während du dich im Takt zu Stuck und all deinen Achievements wiegst.  

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