läuft bei dir.
dein ganzes leben läuft vor dir ab, in satten bildern läuft es an dir vorüber: du winkst von klippen karibischer inseln, reitest auf marokkanischen kamelen, schreist mitten im fallschirmsprung, saugst kokosnusswasser durch einen pinken strohhalm, sitzt mit roten augen auf einer bank in amsterdam, stehst auf hosteldächern und umarmst irgendwelche fremden leute – und wie oft du gehofft hast, immer nur gehofft, an jedem novoline automaten in jeder stadt mit jedem flugticket und jedem menschen, bei jeder partie wizard nachts um zwei; ich glaube nicht, dass ich dich jemals ohne hoffnung gesehen habe; und dann fliegen memes durch dein leben und selfies und screenshots und lauter menschen, die ich nicht kenne und dann ist es vorbei und du scrollst wieder nach oben in die vergangenheit. das hast du jetzt schon mehrmals hintereinander gemacht, immer vor und zurückgespult, als würdest du etwas suchen, irgendeinen anhaltspunkt und wenn man genau hinsieht dann fließt dein leben, diese ansammlung von bildern, die über den bildschirm deines smartphones strömt, wie jeder fluss an den rändern etwas langsamer, aber das kann ich dir jetzt unmöglich sagen; ich weiß generell nicht, was ich sagen soll, das passiert in letzter zeit öfter, wenn wir uns sehen; ich fände garantiert ein passendes gif für diese situation, wenn ich lange genug suchte, irgendein witziges gif, über das wir lachen, aber du willst kein gif, du willst antworten, dabei wolltest du nie antworten, hast immer nur aussagen gemacht, mein bier ist alle, dein bier ist alle, wieso können wir nicht einfach aufstehen und zu burger king gehen, da gibt es coupons für den double steakhouse oder wir gehen nach hause und zocken fifa, aber du willst antworten. wer hoffnung hat, braucht keine antworten und wer hoffnung hat, scrollt nicht schneller an bildern vorüber, die er nicht zu löschen fähig war; dabei lachst du noch genau wie sonst, siehst sofort jeden bierfleck, der sich beim zu hastigen trinken irrtümlich auf mein hemd verirrt, redest immer noch in denselben floskeln – nur die vielen fragen sind neu: ob man ein heuchler sein könne, ohne es selbst zu merken oder ob nicht fremde menschen präziser über uns urteilen könnten als freunde und neue lederschuhe trägst du auch, das sieht richtig ungewohnt aus; du stehst vor der sagrada família, du sitzt mit erdverkrustetem gesicht auf einem festivalgelände, wir schneiden in der küche gurken für gin tonic – keine ahnung ob ich ein heuchler sein kann, ohne es zu merken, ich wüsste es ja dann nicht, antworte ich und du lachst und scrollst weiter, aber deine augen sagen etwas anderes, nämlich gar nichts; deine augen sind gerade eben leer gewesen, nur ganz kurz und diese kleinen dinge fallen mir in letzter zeit eben ständig an dir auf und das irritiert mich, das ist wie ein stück hautkruste, das sich an den rändern schon ablöst und man hat dieses unbändige verlangen, die kruste abzuziehen, aber man weiß, dass die wunde danach wieder blutet und eigentlich hat mutter immer gesagt, man solle sich nicht kratzen, aber dann pult man trotzdem so ein bisschen an der kruste herum und man hat sie sowieso schon zur hälfte herunter und sie lässt sich ja ganz einfach abziehen und es tut auch nur ein kleines bisschen weh und dann blutet es und man bereut es und genau das will ich eben bei dir vermeiden, also ich will das nicht herausfinden was da hinter deinen leeren augen ist und deshalb weiß ich einfach generell nicht was ich sagen soll, du weißt erstaunlich genau auf welchen gruppenbildern sie zu sehen ist, so schnell wie du jetzt scrollst und ich kann schon verstehen, warum du diese bilder nicht löscht, da sind ja auch die anderen drauf und die erinnerung, nur halt blöd dass sie auch mit dran hängt und ob das im gehirn vielleicht ähnlich funktioniert, dass man etwas so tief verankertes nicht komplett vergessen kann, ohne gleich alles andere mit zu vergessen – du lehnst lächelnd an einem geländer im bundestag, du stehst auf dem volleyballfeld am strand, die muskeln angespannt zum baggern und dann sperrst du den bildschirm, das display wird schwarz und dein gesicht spiegelt sich darin, ein leicht deformiertes, durch den ungünstigen winkel mit doppelkinn umrahmtes gesicht, der perfekt gestutzte bart, die nase, welche dir immer schon ein bisschen das aussehen eines falken verliehen hat, dann diese augen, die manchmal leer sind, nur kurz, nur für einen augenblick, wie eine zitternde leuchtreklame nachts in der altstadt – und der wolkenlose himmel spiegelt sich und die bäume dieses parks, alles spiegelt sich in diesem schwarzen display und dann steckst du das handy ein, wir machen noch ein bier auf du, schnippst den kronkorken achtlos vor dich hin; das ist wieder typisch, das kenne ich von dir, diese achtlosigkeit, man könnte auch sorglosigkeit sagen oder gar befreitheit, aber dann landet der kronkorken im kies und klingt irgendwie dumpf – die geste hat gestimmt, aber ihre auswirkung auf die umwelt ist anders, fast als hättest du diese über jahre hinweg perfektionierte bewegung dieses eine mal falsch ausgeführt, als wäre aus diesem eigentlich befreiten kronkorkenschnipsen ein trauriges geworden durch irgendsoein mikromuskulaturphänomen wie bei diesen ouija boards, wir stoßen an, wir trinken, wir schweigen da ist nichts unangenehmes in diesem schweigen, wir sind einfach zwei typen auf einer bank im park, die bier trinken und einen moment der ruhe genießen; zwei frauen in sommerkleidern laufen mit augustiner in der hand an uns vorbei und eine blickt dich etwas länger an als es normal ist, fast schon offensiv lang, wir alle wissen, was gerade abgeht, du und ich und die zwei frauen und vielleicht lächelt ihr euch gleich an, vielleicht ist diese begegnung der start eines langen, alkoholdurchtränkten abends, an dessen ende man auf irgendeinem hochhausdach sitzt und pizza isst und es ergibt sich ein deepes gespräch, in dem sich alles aufklärt, in dem du alles rauslässt, was du gerade so mittelmäßig gut vor mir verbirgst, in der so richtig charakterentwicklung stattfindet, aber dann laufen sie an uns vorbei und wahrscheinlich war das gar kein offensiver blick, sondern ein völlig normaler, vielleicht gibt es keine neuerzählung, keine zurechtgebogene identität, die du vor mir konstruieren könntest, kein zwar gebrochenes, aber im heilen begriffenes ich, das unter meinen augen nicht sofort entlarvt werden würde, also sagst du einfach gar nichts, um uns diese farce zu ersparen, also machst du einfach weiter wie bisher, aber eben mit diesen kleinen brüchen, die nur ich sehe oder du wartest darauf, dass ich frage, vielleicht glaubst du ernsthaft, du würdest mir den abend ruinieren oder sowas, wenn du jetzt ungefragt erzählst, dass es schon ein jahr her ist seit zwischen euch schluss ist und keine besserung in sicht, dass du dich einsam und nutzlos fühlst vielleicht und sehr oft weinst daheim oder was weiß ich, vielleicht erzählst du das alles nicht, weil es auch selbsterklärend ist irgendwie und wir sehen uns so selten und darüber reden – ich meine was hilft das; was kann ich dir sagen auf dieser bank zwischen zwei schlücken bier, das du nicht selbst schon wüsstest, nicht selbst schon zwei mal zu ende gedacht hättest, ist ja auch klar, dass da nach so vielen jahren eine leerstelle bleibt, aber du bist doch nicht mehr oder weniger und vor allem nicht schwächer, wenn wir uns beide eingestehen, dass auch du, dass gerade du von jemandem abhängig warst, dass insbesondere du jetzt ein problem hast, diesen umstand offen zu gestehen, nachdem du ihn jahrelang überspielt hast;
gut, dass du hier bist, sagst du ohne vorwarnung.
wirst du jetzt rührselig oder was ist da los und ich schaue dich an, aber keine ironie, kein scherz lauert da in deinem gesicht, keine verhamlosende floskel, die die spannung bricht und du starrst vor dich hin, du meidest meinen blick und das hat alles seine richtigkeit: wenn zwei typen auf einer bank im park sitzen und einer von beiden zwischen zwei schlücken bier rührselig wird, dann blickt man sich zum teufel nicht dabei in die augen, sondern starrt in den kies oder ins lagerfeuer oder was gerade zum anstarren da ist und sitzt diesen moment gemeinsam aus und es gehört sich auch nicht, dass ich jetzt etwas antworte, also schweigen wir wie zwei völlig normale typen auf einer bank und so weiter, wobei gerade das die sache ist, die mich stört: wir sind keine zwei normale typen auf einer bank, wir kennen uns seit ewigkeiten, also warum überspielst du das und warum spreche ich das nicht an, warum kommt mir dieser satz – gut, dass du hier bist – so falsch vor, seit wann beleidigen wir uns nicht mehr als spast und halten dann realtalk, seit wann sitzen wir auf einer bank und tun so, als wäre das ein ausschnitt aus einer romcom, in der tragische musik läuft, seit wann liegt da dieser filter über allem, als wären wir schon teil deiner camera roll, und während ich das alles denke, hallt dein satz im kopf nach: gut, dass du hier bist – in unseren beiden köpfen wahrscheinlich simultan, schritte im park sind zu hören, überall schritte, überall gehen sie weiter über den kies, über anhäufungen von ladung, ionengitter, elektrostatik und die reibung erzeugt schallwellen, und die luft schwingt, alle teilchen schwingen und bewegen sich, wechselwirken miteinander und lassen dann wieder voneinander ab, die bewegungsenergie ist einfach zu hoch, bis zu tausend meter pro sekunde können diese luffteilchen schnell sein, sie prasseln gegen unsere haut; und vermutlich hättest du vor nicht allzu langer zeit noch ein selfie von uns gemacht, aber du bist anscheinend vorsichtiger geworden